Eier des Meeres: Desertmed in der NGBK

Wenn es draußen kalt, grau und dunkel ist, wäre man manchmal am liebsten ganz weit weg. Weit weg auf einer einsamen Insel mit wogenden Palmen, endlosen Stränden und türkisblauem Wasser. Mit unbeschwerten Sonnentagen, ganz ohne Hektik und Handyempfang. Glücklicherweise präsentiert die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in Kreuzberg passend zum grauen Novemberwetter noch bis zum 2. Dezember eine Ausstellung über einsame Inseln. Desertmed heißt die Schau, in der das gleichnamige, sechsköpfige Künstlerkollektiv eine Zwischenbilanz seiner Recherche über einsame Inseln im Mittelmeer präsentiert. Anhand von Videos, Fotobüchern, einer Klanginstallation sowie einigen Gastbeiträgen kann sich der Besucher auf Erkundungsreise begeben. BLN.FM hat Desertmed-Mitglied Armin Linke zum Interview getroffen und mit ihm über das Projekt, die Ausstellung und ganz besondere einsame Inseln gesprochen.

Gallition, Tunesien / Desertmed Kollektiv

Am Anfang des Projekts stand ein Text des französischen Philosophen Gilles Deleuze, in dem dieser die einsame Insel als „Ei des Meeres“, als Utopie beschreibt. Doch auch persönliche Gründe, so erklärt Linke, inspirierten ihn und seine Mitstreiter Giulia Di Lenarda, Giuseppe Ielasi, Amedeo Martegani, Renato Rinaldi und Giovanna Silva zur Beschäftigung mit dem Thema: „Wir sind eine Gruppe von vor allem italienischen Künstlern. Da ist das Mittelmeer allgegenwärtig. Es schien uns wichtig, uns damit auseinanderzusetzen. Wir haben mit der Recherche angefangen und etwa 300 Inseln identifiziert, die aus verschiedenen Gründen nicht bewohnt oder nicht bewohnbar sind.“

Levitha, Griechenland/ Desertmed Kollektiv
Levitha, Griechenland/ Desertmed Kollektiv

39 der rund 300 verlassenen Inseln haben die Künstler während der letzten fünf Jahre besucht, darunter ehemalige Gefängnis-, Militär-, Naturpark- und Industrieinseln. Jede ist in Form eines Fotobuches in der Ausstellung vertreten. Die Bücher liegen wiederum auf einem Tisch, der eine abstrakte Karte des Mittelmeeres zeigt. Auf ihm verläuft eine Linie, die das Meer von Ost nach West, von Gibraltar bis zur Küste des Libanon darstellt. Die einsamen Inseln sind auf dieser Ost-West-Achse als Punkte markiert, die Fotobücher entsprechend ihres Entstehungsortes platziert. Blättert man durch die mal mehr, mal weniger dicken Werke, sieht man Inseln, die von Menschen völlig unberührt scheinen, genauso wie solche, auf denen die Zivilisation deutliche Spuren hinterlassen hat: „Eine Insel, die nicht so schwer zu erreichen ist, ist Asinara in Italien, bei Sardinien. Eine ehemalige Gefängnisinsel, jetzt Naturpark, aber die ganze Infrastruktur ist noch vor Ort.“ Dass in der heute verlassenen Anlage in den 1980er Jahren noch der berüchtigte Mafia-Boss Salvatore „Totò“ Riina einsaß, ist auf den Fotografien nicht erkennbar. Bildunterschriften mit Erläuterungen sucht man ebenfalls vergebens: Das Desertmed-Kollektiv dokumentiert, ohne zu kommentieren. Die Exponate werfen Fragen auf, zum Beispiel die, welche Bedeutung die verlassenen Inseln für uns haben und ob man sie in ihrer ökonomischen Nutzlosigkeit erhalten oder doch besser gewinnbringend verkaufen sollte. „Santo Stefano, eine ehemalige Gefängnisinsel, die wir vor drei Jahren besucht haben, wurde inzwischen verkauft. Durch die finanzielle Krise versucht der italienische Staat alles zu Geld zu machen, was irgendwie verkäuflich ist“, erklärt Armin Linke.

Santo Stefano, Italien von Desertmed Kollektiv
Santo Stefano, Italien /Desertmed Kollektiv

Ob die Insel unbewohnt bleiben oder zu einem schwimmenden Luxushotel umgebaut wird, will die Gruppe weiter verfolgen. Denn abgeschlossen ist das Desertmed-Projekt noch lange nicht: „Eigentlich ist es unendlich“, sagt Linke. „Aber es ist auch nicht wichtig, dass wir alle 300 Inseln besuchen. Es gibt noch einige – vielleicht 20, 30 – die aufgrund ihrer Typologie, ihrer Geschichte oder aus ästhetischen Gründen interessant sind.“

Auch wenn die Künstlergruppe den Großteil der einsamen Inseln noch nicht erforscht hat, bietet die aktuelle Ausstellung einen ersten Zugang zu dem ungewöhnlichen Thema. Dabei macht sie es dem Besucher nicht unbedingt leicht, sondern verlangt, sich Zeit zu nehmen, um Bücher durchzublättern und Filme anzusehen. Ein langer Atem wir dann aber auch belohnt – mit einer gedanklichen Reise zu den wohl geheimnisvollsten Orten des Mittelmeeres. Ganz ohne Hektik und Handyempfang.

„Desertmed. Ein Projekt über unbewohnte Inseln im Mittelmeer“ Ausstellung bis zum 2. Dezember 2012, Sonntag – Mittwoch 12 – 19 Uhr, Donnerstag – Samstag 12 – 20 Uhr, Eintritt frei, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstraße 25, Berlin-Kreuzberg, U-Bahn: Kottbusser Tor.