Messebesucher stehen Schlange vor dem Eingang des Postbahnhofs. Hier findet an einem tristen Novemberwochenende der „Heldenmarkt“ statt, eine Messe, auf der nur Waren aus „nachhaltiger Produktion“ präsentiert werden. Wer drin ist, hat ein Stempel auf die Hand gedrückt bekommen, einen Einkaufswagen mit Flügeln, das Logo der Veranstaltung. Im ersten Stockwerk befindet sich ein Stand einer Bio-Supermarktkette, von einer Imkerei und einer Kosmetikfirma. An der Bar kann man sich selber seine Limonade aus Wasser, Zucker und Bio-Limettensaft mischen.
Konsumieren und Nachhaltigkeit – Der Widerspruch unter einem Dach
Konsumieren bedeutet verbrauchen, Nachhaltigkeit hingegen sparen. Eigentlich ein Widerspruch: denn Nachhaltigkeit bedeutet, möglichst dauerhafte und sparsame Lösungen für Probleme umzusetzen. Unser Wirtschaftssystem basiert hingegen auf Wachstum und Konsum: immer neue Produkte werden in immer kürzeren Abständen durch neuere ersetzt. Das schafft Arbeitsplätze und freut die Anleger an den Börsen. Wie soll dieser Widerspruch also aufgelöst werden?
Petra Schulz (Foto) unterhält sich mit potentiellen Kunden inmitten ihrer selbst entworfenen Kinderküchen und Hockern aus alten metallenen Olivenbüchsen. Früher arbeitete sie als Journalistin, nun entwirft sie in ihrem Atelier „rafinesse & tristesse“ recycelte Möbel, die bereits einen Designerpreis bekommen haben. Die Möbel werden in einer Behindertenwerkstadt angefertigt, Petra und ihr Partner stellen Design und Material zur Verfügung. Es sind verbeulte, metallene Behälter von verschieden Olivenlieferanten aus Griechenland.
Auf der „Modemeile“ etwas weiter sitzt unter einer Fototapete eine junge Frau auf einem Hocker und strickt an einem Schal. Ein Bild von einem gemalten Vogel hängt neben ihr. Es sieht aus, als würde sie in einem Märchenbuch leben. Jennifer Tanner ist ausgebildete Schneiderin und verkauft Kleider aus Biobaumwolle, sowie Anhänger und Taschen aus alten Stoffen. Sie verkauft ihre Mode auf ihrer Website „börd shört“. Auch Ina Kerkhoff fertigt ihre farbenfrohen Taschen und Portemonnaies aus alten Materialien. „Diese Tasche ist aus einer alten Luftmatratze aus den 1950er Jahren gemacht.“ sagt sie und deutet dabei auf eine rot-gelbe Tasche. Das Basismaterial, Stoffe aus den 1950er und 1970er Jahren, ersteigert sie im Internet. Auf einem Tisch daneben hat sie Ohrringe ausgebreitet, die sie aus Orangenpapier und dem Draht von Sektflaschenverschlüssen bastelt.
Nicht weit davon unter dem Banner von „Fairnopoly“ kneten Kinder Papierschnipsel zu Klumpen und bügeln sie. So stellen sie recycletes Papier her, mit der für eine Plattform für nachhaltig und fair produzierte Produkte geworben werden. „Fairnopoly“ funktioniere nach dem Prinzip von „eBay“, jeder kann über die Plattform verkaufen und für Waren bieten.
Es sei nur viel transparenter, verspricht Gründer Bastian Neumann, der sich als Bankberater auf die Vergabe von Mikrokrediten an Menschen in Entwicklungsländern spezialisiert hat. „Es ist wichtig in Deutschland was zu machen, das bringt den Menschen letztlich mehr.“, findet der 31-jährige. Mitmachen dürfen Händler, die Nachweise liefern, dass sie ihre Produkte tatsächlich unter fairen Bedingungen herstellen.
Susanne Jordan produziert ihr Computermäuse aus gepressten Zellulose-Kügelchen – also Holz. Die „Fairtrademaus“ wird in Deutschland gefertigt. Die meisten Konzerne wie Apple lassen ihre elektronischen Geräte unter schlechten Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern oder China produzieren. Der Elektroschrott mit seinen giftigen Chemikalien landet dann auch wieder dort, wo er verbrannt wird, um an die Bestandteile zu gelangen. „Es gibt keine Computerprodukte, die unter fairen Bedingungen hergestellt werden.“ sagt Susanne. Das will sie künftig ändern, indem sie auch weitere Computerbestandteile auf den Markt bringt, die aus recycleten Material sind und regional hergestellt werden.
Die Anbieter auf der Messe haben viele kreative Ideen präsentiert, aber der „Heldenmarkt“ zeigt: Nachhaltigkeit ist zu einem Sammelbegriff geworden. Darunter fallen unter anderen die gerechte Bezahlung von Bauern in Entwicklungsländern und die Wiederverwendung von Materialien. Aber es ist zugleich ein Etikett, das jene zum Einkaufen locken will, die ein schlechtes Gewissen haben, weil sie inzwischen wissen, dass ihr Konsumverhalten die Umwelt zerstört und Regionen arm hält. Damit ignoriert der „Heldenmarkt“, was Nachhaltigkeit eigentlich bedeutet: Sparsamkeit und Verzicht auf Verbrauch. Denn trotz Öko-Anspruch des „Heldenmarktes“ – die „Helden“ von der Messe verkaufen Dinge, ohne die man gut und gerne auskommen kann. Ganz entgegen der Idee von Nachhaltigkeit regen sie damit zum zusätzlichen Verbrauch an – nur halt unter einem richtigen Siegel.
(Foto: Daryna Sterina)