Rudelführer Marquardt und seine Türsteher

Manche in der Warteschlange sind sich sicher, dass der Türsteher sie rein lässt: Weil sie regelmäßig kommen, oder weil sie irgendjemanden kennen, der irgendjemanden kennt, der den Einlass erleichtern könnte. Manche stehen zum ersten Mal vor dem Club und wissen nicht, was sie im Angesicht mit dem Türsteher erwartet. Wieder andere wurden an der Clubtür schonmal abgelehnt und sind jetzt noch nervöser: Lässt er mich rein? Stimmt mein Outfit? Entweder geht’s dann vorbei zur Kasse, oder es heißt: „Sorry, heute nicht“, oder „Wir lassen keinen mehr rein“, oder es wird einfach nur kurz der Kopf geschüttelt. Pech gehabt!

Als „härtester Türsteher Berlins“ wurde Sven Marquardt schon bezeichnet, obwohl er eigentlich weniger durch Strenge an der Tür, als vielmehr durch seine Gesichts-Tattoos und seine diversen Piercings auffällt. Dass er auch ein kunstvoller, sensibler Portrait-Fotograf ist, zeigte er zum Beispiel in seinem Bildband Zukünftig Vergangen (2010) und in Ausstellungen, auch international.

Vor einigen Wochen eröffnete Marquardt die Ausstellung „Rudel“. Im Mittelpunkt stehen in fotografischen Portraits die Türsteher des Berghain. Und wo passt die Ausstellung besser hin als ins Berghain selbst. Der gewählte Ausstellungsort, das Treppenhaus zwischen Berghain und Panoramabar, wirkt zunächst ungewöhnlich. In einem Treppenhaus bleibt man ja eigentlich nicht lange. Jedoch wird schnell klar, dass es hier beim Betrachten der Bilder während der Partynächte am ruhigsten ist.

Schnörkellos wurden die Aufnahmen an die bröckelnden Wände geklebt. Auf jeder Aufnahme ist ein Türsteher in persönlicher Pose zu sehen – eingehüllt in das neonfarbende, kühle Deckenlicht. Eine ungewohnte, fast schon intime Situation entsteht, wenn man länger vor den Fotos steht und in die Augen der Türsteher blickt. Im Normalfall steht man ja nur Bruchteile von Sekunden in Kontakt zu einem Türsteher. In „Rudel“ hat man jetzt Zeit, den vermeintlich unnahbaren Türstehern mal länger in die Augen zu schauen und mehr über sie zu erfahren.

Der Ausstellungstitel vermittelt Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Mit dem Begriff „Rudel“ scheint Marquardt die Verbundenheit unter den Kollegen ausdrücken zu wollen. Dass es eine emotionale Beziehung zwischen Porträtierten und Fotografen gibt, wird schnell deutlich. Man glaubt fast, die Gedanken in den Augen ablesen zu können. So wirken einige fast schüchtern und verletzlich – Attribute, die man für gewöhnlich nicht mit Türstehern in Verbindung bringt und die doch beim Betrachten der Bilder vollkommen authentisch wirken. Das Porträt eines fast noch kindlich anmutenden Mannes im ledernen Trenchcoat etwa, ist besonders intim: Sein Blick ist traurig. Dass der Mann gleichwohl pöbelnde Leute aus dem Club zu werfen vermag, scheint dabei nur schwer vorstellbar. Auf einem anderen Bild sieht man einen kahlrasierten Sakkoträger mit mächtigem Vollbart, dessen Fäuste ans Revers geheftet sind: das Bild trieft nur so vor Testosteron. Es ist ein Spiel Marquardts zwischen dem Einfangen von präsentierter Autorität und intimen Momenten hinter der Fassade des ‚harten‘ Türstehers.

Dass ihm das so gut gelingt, lässt sich unschwer mit der Biographie des 50-jährigen erklären. Anfang der Achtziger war er als junger Fotograf in der Ostberliner Punkszene unterwegs. Früh lernte er Figuren des Nachtlebens auf unorthodoxe Weise in Szene zu setzen – eine Fähigkeit, die er trotz längerer Pause nicht verlernt zu haben scheint. Jedoch wünscht man sich, dass aus der Inspiration noch viel mehr Bilder entstanden wären. So nämlich ist die Verwunderung groß, wenn man nach drei Etagen mit Bildern vor einem verschlossenen Tor steht, ein abruptes Ende der Ausstellung. Wer jedoch einfach mal wissen möchte, wie die Männer an „der härtesten Tür der Welt“ abseits des Trubels wirken, der findet hier einen erstaunlichen Einblick.

Marquardts Fotografien sind im Rahmen der Ausstellung „Rudel“ noch bis Ende 2012 während der Veranstaltungen im Berghain/Panorama Bar zu sehen.

(Text mit Matthias Hummelsiep; Fotos: Alexander Mattern)

Berg­hain, Wrie­ze­ner Bahn­hof, Berlin-Friedrichshain, S-Bahn: Ost­bahn­hof