Labelportrait: Spectrum Spools

John Elliott ist ein fleißiger, nahezu hyperproduktiver Musiker: Auf gut 40 Veröffentlichungen schaffte er es in den letzten sechs Jahren. Gemeinsam mit den nicht minder arbeitsamen Mark McGuire und Steve Hauschildt veröffentlichte er zuletzt als Emeralds „Just To Feel Anything“. Das Album klingt als hätten sich Tangerine Dream gemeinsam mit Drexciya und der hipsten Indio-Kombo vom Alexanderplatz für ein paar Tage im Studio eingeschlossen. Kosmisch-krautig und vor allem synthesizerlastig geht es auch auf seinem eigenen Label Spectrum Spools zu. Es ist an das legendäre Wiener Label Editions Mego angeschlossen, das von Peter Rehberg geführt wird, einer Ikone der experimentellen Musik.

Dass Elliott es auf Spectrum Spools in nicht mehr als zwei Jahren auf fast 30 Releases geschafft hat, ist angesichts seines Arbeitseifers nicht weiter verwunderlich. Auch die musikalische Stoßrichtung überrascht kaum, ist man mit den Sounds von Emeralds und anderen Elliott-Projekten vertraut: Die Palette reicht von vertrackter Neuer Musik à la Eric Lanham über die glit(s)chigen Drone-Eskapaden einer Motion Sickness Of Time Travel bis zu unverschämt eingängigem Pop, wie Plvs Vltra und Gary War ihn fabrizieren. Ganz im Sinne des Label-Logos: Der gesamte Farbenkreis wird einmal durchspielt. Auch die letzten fünf Alben für 2012, die Elliott noch kurz vor Jahresende auf seinem Imprint veröffentlicht, könnten unterschiedlicher kaum sein, passen sich aber nichtsdestotrotz perfekt in den bisherigen Backkatalog ein.

Forma: Off / On

Das in New York ansässige Duo Forma verortet sich eindeutig auf der poppigeren Seite. Zwar ist auf dem zweiten Album der Band, „Off / On“, wie auch auf dem – ebenfalls auf Spectrum Spools erschienenen – Debüt erneut kein Gesang zu hören, mit ihren lässigen Synthie-Arpeggi, die sich auf federnden, Motorik-ähnlichen Beats ausbreiten, arbeiten sie sich trotzdem an konventionellen Songstrukturen ab. Der die zehn Songs durchwirkende retrofuturistische Flair riecht zwar hier und dort streng nach kosmischem Käse, dreht sich aber unverschämt leicht ins Ohr hinein. Obwohl „Off / On“ hier und dort etwas musikalische Substanz und künstlerischen Eigensinn vermissen lässt: Ein passender Soundtrack für den nächsten Pong-Marathon.

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Container: LP

Container alias Ren Schofield liefert ebenso wie Forma mit „LP“ seine bereits zweite Platte auf Elliotts Imprint ab. Ähnlich wie bei diesen mögen sich bei ihm Feinde der Retro-Ästhetik die Fangzähne lecken. Schofield kokettiert jedoch nicht mit einlullendem 80es-Hochglanz, sondern setzt auf Rave-Reminiszenzen. Ätzend-noisige Zitterbasslines treffen auf harte Beats. Nach einem wuchtigen, aber noch groovigen Einstieg mit den drei Tracks der B-Seite lebt Schofield auf der Flipside seine Vorliebe für militant-technoide Sounds aus: „Perforate“ ist ein brachiales Electro-Stück mit Detroit-Anleihen und „Refract“ erinnert schon beinahe an die wüsten Noise-Experimente eines Pete Swanson. Ein mächtiges, übelgelauntes Album, das mit seinen aggressiv-fordernden Rhythmen trotzdem das Tanzbein für sich gewinnen kann.

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Three Legged Race: Persuasive Barrier

Unter dem Pseudonym Three Legged Race tobt sich Robert Beatty aus, der seinerzeit das avantgardistische Noise-Projekt Hair Police mitbegründete. Nach einer beachtlichen Anzahl von verstreuten Klein- und Kleinstreleases legt er mit „Persuasive Barrier“ nun ein Album vor, das ihn ganze fünf Jahre Produktionszeit gekostet hat. Das Resultat ist eine absonderliche Melange aus Elementen der Neuen Musik, Filmscore-Standards und krautigen Synthesizer-Experimenten. Ein bedrückende, unheimliche Klangcollage, die Beatty da mithilfe verzerrter Vocal-Samples und synthetischer Flötensounds gesponnen hat. Klänge, bei denen selbst einem altgedienten Komponisten von nervenzerfetzenden Horror-Soundtracks wie John Carpenter ganz anders werden dürfte. „Persuasive Barrier“ ist ein kräftezehrendes Erlebnis, das in den Regionen des Unbewussten Türen öffnet, die vielleicht besser geschlossen geblieben wären.

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Bee Mask: We Were Eating Unripe Pears

Mit Chris Madak alias Bee Mask hat sich Elliott einen der interessantesten Synthie-Künstler der letzten Jahre geangelt – und kann den Löwenanteil für dessen Erfolg seiner Förderung zuschreiben. Denn Aufmerksamkeit zog Madak nach jahrelanger Untergrundexistenz in der der US-amerikanischen Tape-Szene erst letztes Jahr auf sich, als gleich zwei seiner Platten auf Spectrum Spools erschienen. Nachdem er sich kürzlich noch mit einer 12″ auf Room40 zurückgemeldet hat, legt Madak nun mit „We Were Eating Unripe Pears“ ein Album vor, das er selbst als Synthese seiner vorangegangenen Arbeiten versteht. Und richtig: Die sieben Tracks zeigen Madaks musikalisches Schaffen in komprimierter Form. Ätherische Drones, plinkernde Synthesizer und mächtige Bässe fügen sich über sieben Tracks zu einem großen Ganzen zusammen. Das mag sich banaler lesen als es eigentlich klingt, aber Madak weiß ganz genau, wie er das Beste aus seinen Geräten herausholen und eine brillante Produktion für abwechslungsreiche Musik nutzen kann. Er ist überdies noch einer der wenigen seines Genres, die wirklich kompositorisch an ihre Musik herangehen. „We Were Eating Unripe Pears“ ist dementsprechend eher als Symphonie, als musikalisches Narrativ zu verstehen denn als Album im klassischen Sinne. Ein Meisterstück in jeder erdenklichen Hinsicht, ein außerweltlicher Trip.

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Michael Pollard: Translations 01

Der kaum googlebare Klangkünstler Michael Pollard (Tipp: Nach Mike Pollard suchen und den gleichnamigen Country-Künstler außen vor lassen) ist bisher unter den Pseudonymen Pale Blue Sky und Treetops nicht unbedingt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, leistete aber mit seinem Tape-und-Vinyl-Label Arbor bereits Schützenhilfe für Shooting Stars wie Oneohtrix Point Never, Rene Hell oder eben auch Bee Mask, Emeralds, Three Legged Race und John Elliotts Solo-Projekt Outer Space. Sein am 10.12 erscheinendes Album „Translations 01“ versammelt Experimente, die man dem Bereich der musique concrète zuordnen kann: Mit allerlei Aufnahmegeräten und Kontaktmikrofonen ausgestattet dokumentierte Pollard unter anderem die Geräusche, die entstanden, als er mit seinen Füßen Druck auf den Grund eines Sees ausübte während sein kleiner Bruder zufällig Feuerwerkskörper in denselbigen schmiss. So interessant sich das in der Theorie liest, die Praxis ist eher ernüchternd. Denn selbst nach intensiver nachträglicher Manipulation reicht es leider zu kaum mehr als ein paar basslastigen Drones und dumpfen Rascheln. Ohne das Wissen um den Entstehungsprozess von „Translations 01“ bewirkt dieses Album allerhöchstens Ratlosigkeit, wenn nicht sogar völlige Indifferenz.

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Die Vielfalt, die den musikalischen Mikrokosmos Spectrum Spools kennzeichnet, mag also nicht immer gelungene Blüten treiben. Mit Acts wie Bee Mask allerdings hat John Elliott den richtigen Riecher bewiesen. Mehr noch: Sein Label ist genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn der digitale Hangover setzt gerade ein, die Musikwelt ist übersaturiert mit Plug-Ins und Pre-Sets. Der (analoge) Synthesizer ist anno 2012 kein überholtes Museumsstück mehr, sondern erobert sich langsam seinen Status wieder zurück, frei nach der Devise: Aus der Reduktion der Mittel heraus kreativ werden. Für interessiertes Publikum wird Spectrum Spools auch im Jahr 2013 wohl die erste Adresse sein, will es diese Entwicklung weiterverfolgen.