Da, wo Punk noch wahrhaftig war

Michael Lindner - Frühjahr 1982 Berlin-Karow / Foto: SUBstitut
Michael Lindner – Frühjahr 1982 Berlin-Karow / Foto: SUBstitut

„Na gut. Den hier kenne ich jetzt nicht persönlich. Ist aber auch der Einzige!“, erklärt Galerist Henryk Gericke, als wir ein Foto von Michael Lindner anschauen. Der Punk ist uns gleich aufgefallen: Hemd und Krawatte, lässig kombiniert unter der Lederjacke, darüber ein Unterhemd und ein „Mich kotzt alles an“-Button angesteckt. In Berlin 2012 würde er einen klasse Hipster abgeben und anerkennende Blicke für dieses Outfit bekommen. Aber das Bild ist ungefähr 30 Jahre alt, aufgenommen in der DDR.

In der Staatsgalerie Prenzlauer Berg läuft noch bis zum 29.11.2012 die Ausstellung „East End – Punks in der DDR„, eine Schau von Fotos über Punks im Realsozialismus. Ausstellungsmacher Henryk Gericke kennt die meisten Aktivisten auf den ausgestellten Bildern und die Ereignisse dahinter, denn er war selbst von 1979 bis 1984 in der Punkszene der DDR aktiv. Zu jeder Person auf den Bildern hat er mindestens eine faszinierende Geschichte. Er sagt uns die Namen der Leute auf den Fotos, in welcher Band sie gespielt haben, welchen Stand sie innerhalb der Punk-Szene hatten und wann sie wie lange im Knast saßen.

 

Christiane Eisler – Ratte aus Leipzig, 1983 / Foto: SUBstitut

„Versteht mich nicht falsch. Man musste natürlich nicht im Knast gesessen habe, um hier ausgestellt zu werden. Doch viele Aktivisten haben halt gesessen“, stellt Gericke klar. So wie Ratte aus Leipzig, der optisch an Sid Vicious von den Sex Pistols erinnert. Das Mitglied der Punkband l’Attentat wurde von Christiane Eisler fotografiert. 1988 wurde er von den DDR-Behörden zur Ausreise genötigt. „Punk im Osten war immer auch Post-Punk. Im Gegensatz zum Westen, wo es eher ein popkulturelles Phänomen war, ist es im Osten eher ein politisches Phänomen gewesen“, sagt Gericke. Als Punk im Osten stand man nicht nur optisch im krassen Widerspruch zum Rest der Gesellschaft, man hatte sich durch seinen Aktivismus gegen das System auch seine Zukunftschancen verbaut. Später haben dann einige, wie Schauspieler und Regisseur Bernd Michael Lade, versucht mit dem Wehrdienst ihre „Jugendsünden“ zu korrigieren, um ein Studium oder eine Ausbildung machen zu dürfen.

 

Staatsgalerie Prenzlauer Berg / Foto: Marcus Bläsing

Mit den Fotos zeigt die Staatsgalerie Prenzlauer Berg den Kulturschock, den die Punkästhetik in der Scheinidylle des Ostens auslöste. Die Sammlung greift thematisch zwei weiteren Ausstellungen in der Staatsgalerie vor: „Oktober 1988 – Zehn Tage Mauerfall“ im Dezember und „Outside GDR – Portraits des Ostberliner Offgrounds“ im Januar. Alle drei Ausstellungen ergänzen die Ausstellung  „Geschlossene Gesellschaft – künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989″ in der Berlinischen Galerie.

East End – Punk in der DDRnoch bis zum 29. November in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg, Greifswalder Straße 218, M4 Hufelandstrasse, Öffnungszeiten von Di-Fr 14-19 Uhr und Sa 13-18 Uhr, Eintritt frei.

(Fotos: SUBstitut, Marcus Bläsing)