It’s lonely at the top. Das hört man im Hype- und Glitzerwahn der elektronischen Musikszene selten. Doch wenn man wie Lukid alias Luke Blair nichts mehr erklären zu hat, keinerlei Erwartungen erfüllen will und sich mit seinem vierten Longplayer „Lonely At The Top“ noch weiter in eigentümliche Klanggefilde vorwagt, dann kann es es einem (mit dem eigenen kreativen Schaffen) schnell einsam werden. Ratternde Drummachines, flimmernde Synthies, obskure Samples, lange Reverbs und verrücktes Sidechaining sind die Zutaten der Platte, die sich irgendwo zwischen kontemporärer Bassmusik und elektro-akkustischer Feldforschung einordnen lässt.
Zum ersten Mal „Lonely At the Top“ anzuhören, ist wie in eiskaltes Wasser geworfen zu werden. Nach dem recht konventionellen „Bless My Heart“ sucht man vergeblich nach bekannten Elementen, Genre-Zitaten oder klaren Beats. Schnell verschlingt einen Lukids klagende Klangwelt, die von einer verschrobenen Ästhetik und hermetischen Klangsprache durchzogen ist. Automatisch spinnt man sich zu den sorgsam arrangierten Tracks Bilder zusammen, blickt fast durch die Augen des Ausnahmeproduzenten auf das eisige London – letzteres soll übrigens der Anstoß zu „Snow Theme“ gewesen sein. „Lonely At The Top“ ist wie einen tiefen Blick in Lukids Wesen zu werfen. Einem Londoner, der sich seine Zeit mit absurden Internetvideos und Videospielen vertreibt und auf Soundcloud merkwürdige Anrufbeantworter-Schnipsel sammelt.
Lukids neues Album ist alles andere als aufdringlich, aber doch fast schon unbarmherzig emotional. Wer sich auf die zwölf Tracks einlässt, bekommt schnell den reinigen Effekt von Lukids Frequenzen zu spüren: Bitte Platz nehmen auf der Couch von Dr. Lukid Freud, es kann anstrengend werden! Denn bei Tracks wie „Manchester“ oder „USSR“ rutscht einem das Herz in die Hose, richten sich alle Nackenhaare auf und zeigen sich unter Umständen sogar Tränen. Ob aus Trauer oder Freude, das ist bei Lukids viertem Longplayer gar nicht mehr zu beantworten. Bekanntlich liegen die beiden Extreme ja auch nah beieinander.
Der Anstoß zu „Lonely At The Top“ sollen zufällig gefundene Kassetten gewesen sein, auf denen Lukid neben klassischer Musik und Sprachkursen auch alten Disco-Sound entdeckte. Ob das ein Marketing-Gag ist oder nicht, ist bei einer so ironischen Persönlichkeit wie Lukid nicht zweifelsfrei zu beantworten. Der mittige, saturierte, ja fast instrumentale Sound der Platte klingt jedenfalls verdächtig nach Tapes und analogen Spielzeugen, die dichten Klangwolken zwischen Electronica und Ambient gleichzeitig organisch wie ein Live-Jam und präzise wie eine Digitaluhr.
Lukids musikalische Selbstfindung und Abkapselung, die vor einer knappen Dekade begann, lässt sich gut mit seinem großen Fürsprecher Actress vergleichen, der bereits als neuer Aphex Twin gefeiert wird. Seinem Label Werk Discs haucht „Lonely At The Top“ nach langer Stille neues Leben ein, vertrieben wird die Platte aber von Ninja Tune. Lukids frühe Veröffentlichungen wie die drei LPs „Onandon“, „Foma“ und „Chord“ könnten glatt im Hintergrund einer Lounge oder im Fahrstuhl laufen, ohne für allzu viel Aufregung zu sorgen. Aber auch in seinem frühen Schaffen findet sich die verschrobene Klangsprache, die Lukid mit aktuelleren EPs wie „Boxing Club“ oder „Spitting Bile“ auf seinem eigenen Label GLUM kompromisslos vertieft. Auf „Lonely At The Top“ erschwingt Lukid nun den Gipfel seiner hermetischen Idiosynkrasie.
Um auf den Hypewahn zurückzukommen: Mut und Talent zum eigenen Klangkosmos finden sich kaum noch in einer Szene, die heute noch frenetisch ein generisches Genre feiert und dieses morgen schon vergessen hat. Dementsprechend gibt es auch immer weniger Platten, die nicht nur einer Mode hinterherlaufen und dabei Innovation vortäuschen, sondern wirklich etwas mit guter, neuer Musik zu tun haben. Und solche Musik braucht eben Zeit, um verstanden und gewertschätzt zu werden, ist dafür aber unverwechselbar und zeitlos. Genau das ist Lukid mit seinem Meisterwerk „Lonely At The Top“ gelungen. Dabei behauptet der scheue Produzent noch immer, nichts über die technische Seite des Produzierens zu wissen, und mit diesem Album zum ersten Mal keine fremde Hilfe in Anspruch genommen zu haben: “I just thought, if it sounds good then that’s all that matters“. Keine Sorge Lukid, deine einsame Gipfelmusik klingt mehr als gut und ist schon heute ein moderner Klassiker.
Preview:
[podcast:]http://media.bln.fm/media/audio/previews/lukid_lonely_at_the_top_preview.mp3[/podcast]
Tracklist:
- Bless My Heart
- Manchester
- Lonely at the Top
- Snow Theme
- This Dog Can Swim
- Southpaw
- Tomorrow
- Riquelme
- USSR
- The Life of the Mind
- Laroche
- Talk to Strangers