Am 2. November 2012, einem Freitagnachmittag, verteilen sich nur noch etwa zehn Demonstranten auf dem kalten Kopfsteinpflaster vor dem Brandenburger Tor. Ihre Regenschirme mit dem aufgepinselten Slogan „Kein Mensch ist illegal“ haben sie immer noch aufgespannt. In Müllbeuteln bewahren sie das auf, was sie besitzen. Sie sind eingekreist von Mannschaftsautos der Berliner Polizei, die die Demonstrierenden genau beobachten. Denn die Flüchtlinge besitzen keine „Camping“-Genehmigung: Sie dürfen nicht auf dem Pariser Platz schlafen. Das ließ der Berliner Stadtbezirk Mitte durch ein Gericht bestätigen. Die Polizisten setzen diesen Beschluss durch: Sie nehmen den Demonstranten bei eisigen Temperaturen Decken und Regenschirme ab. Selbst auf ihren Müllsäcken dürfen sich die Protestierenden nicht ausruhen. In der Nacht sei es am schlimmsten, berichtet eine Aktivistin. Es hätte auch körperliche Auseinandersetzungen gegeben, ein Demonstrant habe eine gebrochene Nase, hat sie gehört.
Eine blonde Frau um die 40 liest sich die Parolen auf den Regenschirmen durch. Sie kommt aus Berlin und sagt, dass sie eigentlich nicht so recht wisse, warum die Flüchtlinge demonstrieren. „Es ist für mich schwer, die Lage zu erfassen, aber natürlich macht es mich traurig, dass diese Menschen nicht anerkannt werden.“ Die Aktion erinnert sie an die Protestbewegung der 1968er. Eine Familie mit Kleinkind sieht sich die aufgestellten Regenschirme an. „Es war bitter nötig, die Flüchtlinge werden schon seit Jahren schlecht behandelt“, findet die junge Mutter.
Zwei Schritte hinter den aufgespannten Regenschirmen und Bannern der Flüchtlinge steht ein Pantomime in einer rosa Kiste und winkt fröhlich. Das Interesse an ihm scheint größer als das an den Demonstrierenden.
Die Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen sie verfolgt wurden oder kein Auskommen mehr für sich und ihre Familie hatten. Mit der Demonstration wollen sie auf ihre menschenunwürdige Situation aufmerksam machen. Sie werden in Sammelunterkünften untergebracht, die häufig weitab liegen und keine Verkehrsanbindung haben. Sie dürfen nicht arbeiten und für ihr eigenes Auskommen sorgen – was ihnen hinterher vorgeworfen wird. Sie dürfen nicht mal innerhalb Deutschlands verreisen. Und sie müssen mit der Angst leben, dass sie morgen vielleicht wieder aus dem Land geschmissen werden.
Die Demonstrierenden am Brandenburger Tor wirken erschöpft. Bis Donnerstag letzter Woche befanden sie sich im Hungerstreik. Nach einem mehrstündigen Gespräch mit der Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) beendeten sie ihn. Die Politikerinnen versprachen, sich für die Forderungen der Asylanten einzusetzen und sie auf die Tagesordnung des Bundestags zu setzen. Wie sie das genau anstellen wollen, ist unklar.
Ein Demonstrant Ende dreißig in abgetragener Kleidung unterhält sich mit einem jüngeren Passanten: „Seitdem wir hier sind, kamen Leute vom Ministerium und haben gesagt, dass sie die Sachen machen, die wir wollen. Aber wir wissen nicht, ob sie ihre Versprechen halten werden.“ Die junge Mutte meint: „Ich glaube, es ist schwierig, die Gesetze schnell zu ändern. Das ist eben auch Europa-Politik, das kann Deutschland nicht alleine regeln.“
Die Demonstration sollte ursprünglich bis zum 5. November dauern, mittlerweile wurde sie verlängert. „Wir haben Hoffnung und kämpfen bis zum Ende“, sagt ein Demonstrant.
(Photos: Sophie Bengelsdorf, 31.10.2012)