Was bringt Couch-Aktivismus?

Die Sängerinnen der feministischen Punk-Band Pussy Riot werden wegen eines kontroversen Auftritts in russische Arbeitslager gesteckt. Die Verwertungsgesellschaft GEMA erhöht die Tarife für Clubs und Diskotheken. Zwei Fälle, die in den letzten Monaten Wellen der Empörung ausgelöst haben. Doch was kann man dagegen tun?

„Schließe dich unserer Petition an!“ schallt es im sozialen Netz. Peaches dreht ein Video, das auffordert, die Petition zur Freilassung von Pussy Riot zu unterzeichnen und verbreitet es über Facebook. Der Newsfeed quillt über mit Statusmeldungen von Freunden, die den Link zur Anti-GEMA-Petition verbreiten. Anscheinend gibt es zu jedem Thema eine Petition – ob es nun um Leistungsschutzrechte, Flüchtlingsproteste am Brandenburger Tor oder die Erhaltung des Prinzessinnengartens am Berliner Moritzplatz geht.

Mit der Online-Petition ist der politische Aktivismus nur einen Klick entfernt. Und dieser Klick kann entscheidend sein. Petitionsplattformen wie Change.org zeigen nicht nur die Anzahl der bisherigen Unterstützer, sondern auch die Zahl der Stimmen, die zum Erfolg fehlen. Die Petition für den Prinzessinnengarten braucht 25.000 Unterstützende, die Petition zur Nominierung der 15-jährigen Malala Yousafzai aus Pakistan für den Friedensnobelpreis 150.000. Offizielle Petitionen, die im deutschen Bundestag eingereicht werden, müssen 50.000 Unterschriften innerhalb von vier Wochen vorweisen.

Aber lässt sich mit Petitionen wirklich etwas bewegen? Oder handelt sich dabei um eine bequeme Form des Aktivismus, die das eigene Gewissen beruhigt? BLN.FM hat sich bei Professor Joachim Trebbe erkundigt, der sich an der Freien Universität Berlin mit der Wirkung von Medien beschäftigt.

 

BLN.FM: Man das Gefühl, dass man jeden Tag eine neue Petition unterzeichen könnte, wenn man den zahlreichen Aufrufen seiner Freunde in den sozialen Netzwerken folgen würde. Wie relevant sind Petitionen heute?

Prof. Trebbe: Da muss man zwei Sachen unterscheiden. Das eine ist die im Grundgesetz festgeschriebene Petition. Sie schreibt vor, dass man sich als einfacher Bürger an den Bundestag wenden kann, der sich dann mit dem Anliegen befassen muss. Es existiert auch die Variante der öffentlichen Petition, die auf der Plattform des Bundestages online gestellt wird und dort Unterschriften sammelt. Unabhängig davon gibt es die Bewegungen in sozialen Netzwerken, wie Facebook, um bestimmte Initiativen zu unterstützen. Sie zielen nicht immer darauf ab, dass sich der Bundestag damit beschäftigt.

Im Petitionsforum des Bundestags sind fast 1,4 Millionen Nutzer angemeldet. Es gibt wohl schon eine Community, die sich sehr häufig mit Petitionen beschäftigt. Dabei geht es nicht allen um eine ganz bestimmte Sache, die sie dem Bundestag vorlegen wollen. Darüber, wie viele Gesetzesvorhaben sich auf der Basis von Petitionen durchsetzen, müsste man sich mal erkundigen. (Anmerkung der Redaktion: Wohl 3,5 Prozent der eingereichten Petitionen werden an die Bundesregierung weitergeleitet. Quelle: Statistiker Blog)

BLN.FM: Bei einer offiziellen Online-Petition an den Bundestag benötigt man 50.000 Unterstützer innerhalb von vier Wochen, um im Petitionsausschuss reden zu dürfen. Hat man erst ab dann eine Einflussmöglichkeit?

Prof. Trebbe: Ob man nun die 50.000 Unterstützter hat oder eine Petition privat einreicht, man erreicht den Petitionsausschuss. Im Grundgesetz steht, dass jeder das Recht hat, eine Petition zu veranlassen. Es hat sich einfach die Praxis eingebürgert, dass man bei 50.000 Befürwortern innerhalb von vier Wochen im Petitionsausschuss sprechen darf. Das ist aber weder gesetzlich geregelt noch verbindlich. Es macht also keinen Unterschied, ob ich eine Petition alleine, vielleicht auch anonym einreiche oder Massen bewege: In jedem Fall muss sich der Petitionsausschuss damit beschäftigen. Abschließend muss er an den Urheber einen Bescheid über Ablehnung, Annahme, Weiterverfolgung oder Weiterleitung der Petition senden. Es gibt allerdings kein Anrecht auf Anhörung. Der Ausschuss muss seine Entscheidung auch nicht begründen.

Den einzigen und entscheidenden Unterschied macht der öffentliche Druck: Wenn eine Petition innerhalb von kürzester Zeit große Zustimmung erhält, wird sie üblicherweise von den Medien aufgegriffen und somit auch für Bundestagsabgeordnete im Ausschuss elevant. Dadurch ist die öffentliche Petition meistens wirkungsvoller.

BLN.FM: Ist es also im Endeffekt egal, ob man eine öffentliche Petition über Plattformen wie Change.org oder avaaz.org oder auf der Plattform des Bundestages unterzeichnet?

Prof. Trebbe: Die meisten Bundestagsabgeordneten würden wohl sagen, es sei sehr wichtig, die offizielle Plattform zu nutzen. In der Realität sind jedoch die Petitionen am wirkungsvollsten, die am meisten Stimmen sammeln, weil die etablierten Medien Wind von einer stark unterstützten Petition bekommen und sie aufgreifen.

BLN.FM: Hat man überhaupt eine Chance, durch eine Petition Einfluss auf die Politik zu nehmen?

Prof. Trebbe: Theoretisch auf jeden Fall, es steht ja im Grundgesetz. Die Petition bleibt aber in der Gesetzgebung nur ein Nebeneingang und die Einflussmöglichkeiten sind, im Vergleich zum üblichen Gesetzgebungsverfahren, sehr klein. Aber es ist eine Möglichkeit, Themen in die öffentliche Diskussion zu bringen, die sonst kein Gehör bekommen. So kann man die Aufmerksamkeit von Politikmachern erreichen – und das unabhängig von Parteien und den gängigen, oft langwierigen Verfahren. Sonst hätte wahrscheinlich keine Partei des Bundestages ein Ohr für die Probleme eines Kleintierzüchtervereins. Es gibt aber eben sehr viele Petitionen, die sich mit sehr speziellen Einzelfällen beschäftigen.

Durch das Internet hat das eine neue Dynamik gekriegt, weil man mittels Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien sehr schnell sehr viele Unterstützer mobilisieren und in den Fokus etablierter Medien kommen kann.

BLN.FM: Warum nutzen viele dann auch „inoffizielle“ Plattformen wie Change.org?  Werden sie bevorzugt, weil Petitionen so europa- und weltweit gestartet werden können?

Prof. Trebbe: Hier muß man ganz klar trennen, was in den Verfassungen der Länder steht und was in den sozialen Netzwerken passiert. Ob es occupy, Anonymus oder Pussy Riot ist – all diese Bewegungen verbreiten sich sehr schnell im Netz. Mit einer Petition wollen diese gar nicht auf die Gesetzgebung der Länder einwirken. Sie suchen Öffentlichkeit und wollen einfach, dass sich Bürger, Wähler und Medien mit bestimmten Themen beschäftigen.

BLN.FM: Manche sprechen bei Online-Petitionen von „Clicktivismus“, der einher geht mit der fehlenden Bereitschaft, tatsächlich auf die Straße zu gehen. Führt diese Art Online-Protest ins Nichts?

Prof. Trebbe: Soweit ich das beobachten kann, gibt es im Moment einen anderen Effekt. Ich glaube nicht, dass die Aktivität im Internet letztlich dazu führt, dass die Leute zu Hause bleiben. Die Mobilisierung wird eher stärker – Gruppen bilden sich im Internet, um dann öffentlich aufzutreten. Gibt es zum Beispiel eine Demonstration gegen Nazis in einer ostdeutschen Großstadt, können sich die Demonstranten im Internet heute besser organisieren.

Was sich durch das Internet verändert hat, ist die enorm gestiegene Konkurrenz um die Aufmerksamkeit von Menschen. Wenn man ein wenig auf Facebook, Twitter und in anderen sozialen Medien unterwegs ist, merkt man, dass viele Leute relativ schnell eine große Öffentlichkeitswirkung durch Weiterleiten, Teilen und Posten erzeugen und das für eigene oder allgemeine Zwecke versuchen auszunutzen. Das führt dazu, dass immer mehr Probleme auf den Tisch kommen und auch sehr spezielle Anliegen Unterstützer suchen. Vielleicht führt das aber auch dazu, dass man wirklich nur das unterstützt, was einem auch am Herzen liegt.

BLN.FM: Sie sehen es also eher positiv, dass man diese große Auswahl an Petitionen hat?

Prof Trebbe: Als es das Internet noch nicht gab, wurden solche Themen nur in den Hinterzimmern von Kneipen diskutiert. Man musste zum Rathaus gehen und sich erkundigen, ob irgendwelche Bürgerbegehren oder Initiativen entstanden sind – einfach so erfuhr man davon überhaupt nichts. Heute kriegt man wenigstens mit, wo es mehr oder weniger relevante Probleme gibt. Damit ist es einfacher, mit seinem Anliegen an die Öffentlichkeit zu gehen.

BLN.FM: Sind die Leute also aktiver geworden?

Prof Trebbe: Da wäre ich mir nicht so sicher, denn man muss weniger tun. Es kommt irgendetwas angeschwommen, während man gerade das Treiben auf Facebook oder Twitter verfolgt. Man kann Sachen unterstützen, ohne aus dem Haus zu gehen oder einen Brief einzuwerfen. Man klickt, man „liket“ und man wird Freund – die Aktivität ist somit niedrigschwelliger geworden. Das führt, so gesehen, wiederum dazu, dass man auch leichter mal seine Unterstützung vergibt.

BLN.FM: Was halten Sie zusammenfassend von Petitionen als politisches Werkzeug?

Prof. Trebbe: Es muss diese Tür geben: sowohl die öffentlichen Bewegungen in sozialen Medien als auch die offiziellen Petitionen im Forum des Bundestages. Dennoch glaube ich, dass die Relevanz, wenn man an Ökonomie, Geld und wirklich tiefgreifende Gesetze denkt – Wahlrecht oder Eurokrise – gering ist. Aber es ist wichtig, dass man diese Tür offen hält, damit sich die Entscheidungsträger nicht gänzlich in politischen Elfenbeintürmen versteigen.