Melancholie und Hedonismus

Die amerikanische Zeitschrift „Fast Company“ erfand den Begriff „Flux Generation„. Er etikettiert die wachsende Gruppe Menschen, die sich dagegen entscheiden in einem geregelten Leben mit Eigenheim, Zweitauto und Familie anzukommen. Sie sind nicht mehr auf eine gute Ausbildung und Karriere fixiert, stattdessen wollen sie das Hier und Jetzt so weit es geht auskosten und lassen sich im dem Strom des Lebens treiben. Diesem Lebensgefühl setzt Jan Ole Gerster in seinem Spielfilmdebüt „Oh Boy“ ein Denkmal.

Niko ist Ende zwanzig. Vor zwei Jahren hat er sein Jura-Studium abgebrochen. Sein reicher Vater, der ihm sein Leben sponsert, weiß noch nichts davon. Seitdem lebt er in den Tag hinein und lässt sich treiben –  oder wird vielmehr getrieben vom Leben. Als er auffliegt und der Vater Niko fragt, was er denn in den letzten zwei Jahren so gemacht hat, sagt er nur: „Ich habe nachgedacht.“ Ob es daran liegt, dass Nachbarn und Alltag befremdlich wirken? Der Nachbar belästigt ihn mit persönlichen Problemen. Und selbst die Bestellung eines Kaffees in einem Berliner Café bereitet ihm ungeahnte Schwierigkeiten.

Doch es kommt der Tag, an dem Nikos beschauliches Leben ins Wanken gerät. Sein Vater streicht ihm die Bezüge, seine Freundin macht Schluss und er begegnet der attraktiven wie auch neurotischen Julika. So sehr sich Niko nun müht, alles richtig zu machen, es geht trotzdem schief. Irgendwann fragt er seinen einzigen wirklichen Freund: „Kennst du das Gefühl, dass dir die Leute um dich herum merkwürdig erscheinen? Und je länger du darüber nachdenkst, desto klarer wird dir, dass nicht die Leute, sondern du selbst das Problem bist?“

Jan Ole Gerster erzählt die Geschichte des liebenswert komischen Kauzes Niko in altmodischem Schwarz-Weiß zu Jazz-Musik. Dabei zeigt er die melancholische Planlosigkeit Nikos mit genau der richtigen Portion intelligentem Humor. Dem Schauspieler Tom Schilling ist die Rolle des Niko wie auf den Leib geschneidert.

Niko ist Holden Caulfield aus „Der Fänger im Roggen“ nicht unähnlich. Trotzdem wäre es übertrieben, zu behaupten, Jan Ole Gerster hätte das Portrait einer Generation geschaffen. „Oh Boy“ ist vielmehr eine feinfühlige und wundersam unterhaltsame Geschichte um einen jungen Mann, der nicht weiß wohin er will. Und davon gibt es nicht wenige.

„Oh Boy“, Drama, Komödie, Deutschland 2012, 85 min, ab dem 1. November 2012 unter anderem im Kino in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, Berlin-Prenzlauer Berg, U-Bahn: Eberswalder Straße