So war’s: Das Elevate Festival 2012

Das „Elevate Festival“ in der österreichischen Stadt Graz verknüpft seit acht Jahren experimentelle Musik, Clubnächte und die Diskussione aktueller politischer und gesellschaftlicher Probleme. Thema dieses Jahr war „Elevate The Apocalypse?“. BLN.FM war vom 24.-28. Oktober vor Ort und hat sich angeschaut, wie das umgesetzt wurde.

Um es vorweg zu nehmen: Die inhaltliche Verknüpfung zwischen Musikprogramm und den großen, politischen Fragestellungen wurde nicht versucht. Sie wurde bewusst nicht unternommen, da die Musik für sich selbst stehen und sprechen sollte. So lieferte der Politikwissenschaftler Frank Deppe aus Marburg einen düsteren Ausblick auf die Zukunft. Wir befänden uns in einer „multiplen Krise“, nicht nur  wirtschaftlich, sondern auch sozial und kulturell stünden wir vor einem Wendepunkt. Er liefert dabei Schlagworte wie „Post-Demokratie“, „Fiskal-Diktatur“ oder „neoliberale Hegemonie“. Begriffe, die im Verlauf der Diskussion nur ansatzweise reflektiert wurden.  Aber was das mit Musik, Kreativwirtschaft, Kulturindustrie oder Klangästhetik zu tun hat, beantworteten die Panels nicht. Stattdessen lieferte das Musikprogramm selbst die Anhaltspunkte.

Der schrille DJ Scotch Egg (Foto oben: mit Sensational) stellte für Samstagnacht ein Programm im Grazer Schlossberg aus krachendem Industrial, Noise, Drone und abstrakten Hip Hop zusammen. Zugleich bespielte das Small But Hard-Label im steinigen Untergrund die kleinste Tanzfläche des Festivals. Bei diesem Klanggewitter und den nahezu undurchlässigen Nebelschwaden musste man ganz schön Obacht geben, nicht über einen der aus dem Boden ragenden Felsbrocken zu stolpern. Noise-Liebhaber Scotch Egg, ein exzentrischer Japaner, der kürzlich von London nach Berlin gezogen ist, kuratierte zum dritte Mal einen Abend beim Festival. Das liegt sicher auch an einer Vorliebe der „Elevate“-Macher für die dunkle und harte Seite der Musik. Einer der drei Gründer, Daniel Erlacher, produzierte auf seinem Label Widerstand Records selbst Breakcore.

Ein anderes Modell musikalischer Apokalypse stellte Ghetto SciFi-Rastafari Ras G vom Label Brainfeeder aus Los Angeles bereits am Freitag auf einem Workshop vor, in dem er seine Art des Musikmachens erklärte (Foto links). Er tritt mit einem DJ-Mixer und dem Roland-Sampler SP 404 auf. Zuhause bindeter noch eine MPC 2000XL und sein Schall­plat­ten– und Videoarchiv ein. Dazu schließt er dann noch einen Fernseher an. Software wird bei dieser erfrischend unkonventionellen Herangehensweise nicht genutzt. Da reichen die SP 404, ein Joint und die Intuition des Musikers, wie er selbst sagt.

Das sich wiederholende Aufnehmen und Abspielen bestehender Klänge lässt unendlich viele neue Sounds entstehen. Ras G (Foto oben) wirkt mit seinem Sampling somit auf künstlerische Art gegen die biblische Wucht der fatalistischen Einmaligkeit und Endgültigkeit der Apokalypse.

Das Programm vom Freitagabend stellte The Bug zusammen, der sich selbst mit der israelischen Rapperin Miss Red und MC Flow Dan auf die Bühne stellte. Neben der extremen Lautstärke, für die The Bug mittlerweile bekannt ist, wurde der Auftritt durch jede Menge Nebel und grelles, weißes Blitzlicht begleitet. Nur Wenige waren danach in der Lage zum Juke-Set von DJ Spinn angemessen zu footworken. Mit Ras G, DJ Spinn, Disrupt feat. Solo Banton und den MCs von Roll Deep gelang The Bug eine gute, inhaltliche Zusammenstellung, die die Verbindungen zwischen Soundsystem-Culture, Juke und Ghetto SciFi deutlich machte.

Elevate 2012, Graz, The Bug, Miss Red

Diese Musikstile sind für den amerikanischen Musikjournalisten Simon Reynolds darin fixiert „Sound“ zu finden und zu zerstören. Es handelt sich dabei um Grenzüberschreitungen, die neue Räume innerhalb der Audiosphäre erschließen. Es sei somit auch „eine Gegenbewegung zur ihrer Kolonialisierung durch epidemische Ohrwürmer und Audio-Viren der kapitalistisch operierenden Pop-Industrie“, wie sie ein guter Bekannter von The Bug, Kode 9, in seinen musiksoziologischen Abhandlung „Sonic Warfare“ beschreibt. Das „Elevate Festival“ sieht sich als ein Ort, in denen die Gegenstrategien dazu erprobt werden sollen.

Die Inszenierung der musikalischen Apokalypse bietet nicht nur einen Moment der Katharsis, sondern sie ist auch ein politisches Statement. Musik wird damit zu einer alternativen Form des Aktivismus, ein Option für jene, die eher wenig von Realpolitik oder dem theoretischem Diskurs halten. Immerhin wurde dies Form des Engagement in diesem Jahr erstmals mit einem „Artivism Elevate Award“ gewürdigt, den Susanne Posegga für ihr Filmprojekt „Sunu Gaal“ gewann.

(Text/Fotos: Bianca Ludwig)