Der Oktober 2012 ist in Krakow ungewöhnlich warm und sonnig wie überall in Mitteleuropa. Das Laub leuchtet golden bei Frühlingstemperaturen in der polnischen Metropole, in denen bereits zum zehnten Mal das „Unsound“-Festival stattfindet. Und auch dieses Jahr bestätigt es mit Auftritten von unter anderem Ben Frost, Julia Holter, Raime und Andy Votel seine Geltung als eines der besten Festivals für elektronische Musik. Das Programm pendelte dabei zwischen sinnesfreudigem Experiment und Abfahrt auf der Tanzfläche. Überwältigende Lärm-Kaskaden, fein polierte elektronische Melancholie als auch glücksselig-positive House-Musik wechselten sich ab.
Die besondere Atmophäre des Festivals ergibt sich aus den Veranstaltungsorten, die in der Regel keine regulären Clubs sind. Neben Museen, einer Kirche, tiefen Kellergewölben und einer prächtigen Synagoge im jüdischen Viertel gab es drei ganz besondere Orte, die für die inspirierende Atmosphäre des Festival stehen.
Die Wochenend-Parties fanden im Hotel Forum statt, einem realsozialistischen Betonblock, der seit 2002 für die Öffentlichkeit wegen Baumängeln gesperrt ist. Weiche Auslegware, Holzvertäfelung, Glasfassade mit Blick in die neblige Krakower Nacht, großzügige Gänge, ein Interieur, welches entfernt an den Palast der Republik in Ostberlin erinnerten – die Voraussetzungen waren ideal. Den Rest lieferte das musikalische Programm: hier sorgten vor allem Mala in Cuba mit latin-infizierter Bassmusik für Euphorie. In der Hotelbar tanzte es sich stundenlang zu den sich endlos fortsetzenden House-Grooves von Heatsick, im großen Konferenzraum zu ansteckenden Klängen der Beautiful Swimmers.
Das Offizierskasino der polnischen Stadt ist ein etwas steifer Ort. Zwischen den gekreuzten Säbeln und den Wappen der polnischen Armee kann man mit Oma und Opa zünftig polnisch essen. In einem Saal des Kasinos stellte Musiksammler und Sampling-Freund Andy Votel seinen Soundtrack zu einem Video-Remix der polnischen Kinderserie „Pan Klecks“ vor, der auf der Filmmusik der Serie basiert. Sein Projekt „Kleckspoitation“ brachte so ungewohnte Lautstärke, in manchen Passagen auch einen ordentlichen 4/4-Takt in die ehrwürdigen Hallen des Clubs, dass zwischendrin einige Besucher neugierig zur Tür hineinschauten.
Ältere Krakower kennen den Club Feniks aus Jugendtagen. Inmitten von roten Samtvorhängen und dicken Polstern, in denen sonst leichte Mädchen im Glitzerfummel tanzen und ältere Herren Zigarren paffen, stellten nachmittags zur Kaffeetrink-Zeit Ben Vida und Helm ihre Ambient-Elektronik vor. Die ist durchsetzt von Lärm, Rauschen und technischen Geräuschen, gerade deshalb wirken sie in der weichen Akustik des plüschigen Clubs um so hörbarer.
Das waren nur drei von einem guten Dutzend verschiedener Orte, an denen das „Unsound“-Festival in Krakow stattfand. Auch wenn es zynisch klingt: es scheint ein Vorteil zu sein, wenn eine Stadt nicht so eine so gut ausgebaute, fest etablierte Underground-Struktur wie Berlin besitzt. Denn der Mangel zwingt zur Kreativität bei der Suche nach neuen Orten, trifft bei den „Unsound“-Team aber auch auf Ehrgeiz, Konzerte und Parties an besonderen Orten stattfinden zu lassen. Wer weiß, was die urbanen Entdecker 2013 aus dem Ärmel zaubern.
(Der Aufenthalt beim Unsound-Festival wurde finanziell durch das Instytut Adama Mickiewicza ermöglicht.)