Knöllchen statt Knast

In der Haftanstalt Plötzensee sitzt jeder Dritte wegen Schwarzfahrens. Wer drei Mal ohne Fahrschein erwischt wird und nicht zahlt, kann für 20 bis 60 Tage verknackt werden. Das trifft vor allem diejenigen, die sich das Ticket für Bahn und Bus nicht leisten können.

Zur Zeit sitzen in Berlin 1000 Menschen wegen Schwarzfahrens im Gefängnis. Olaf Heischel, der sich als Vorsitzender des Vollzugsbeirates für die Rechte von Häftlingen einsetzt, sagte bei einer Pressekonferenz im Septemeber 2012: „Mehr als 80 Prozent der angeklagten Schwarzfahrer können die Strafe einfach nicht zahlen. Die einen haben Alkohol- oder Drogenprobleme und die Gefängnisstrafe reißt sie aus Hilfsprogrammen heraus. Die anderen können die Geldstrafe nicht abarbeiten, weil sie gesundheitliche Probleme haben oder obdachlos sind.“ Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, sagte gegenüber der taz: „Die Leute haben keinen Cent übrig. Ich finde es absurd, dass wir mit dem Strafrecht versuchen, sie zum Zahlen zu bringen, obwohl wir wissen, dass es nicht geht.“

Allein die BVG zählt täglich 1,4 Millionen Fahrten. Weniger als ein Prozent aller Fahrgäste werde beim Schwarzfahren in U-Bahn, Tram und Bus erwischt. Die BVG schätzt, dass drei Prozent der Fahrgäste unentdeckt schwarzfahren. Damit gingen ihr jährlich rund 20 Millionen Euro durch die Lappen.

Wir zahlen alle dafür, dass Schwarzfahrer im Knast sitzen

Im Tagesspiegel schätzt die Neuköllner Jugendrichterin Dietlind Biesterfeld, dass beinahe jeder dritte Gerichtsprozess in Berlin gegen Erwachsene wegen Schwarzfahrens stattfindet.

Wandert ein Schwarzfahrer hinter Gitter, kostet sein Haftplatz zwischen 100 und 250 Euro pro Tag. Wenn er vier Wochen sitzt, macht das durchschnittlich 4200 Euro. Dazu kommen Mahn- und Gerichtskosten. Und die summieren sich. Das Land Berlin gab 2011 rund 6 Millionen Euro für die Inhaftierung und Resozialisierung von Schwarzfahrern aus.

„Für jeden Knasttag könnte man mehrere Sozialtickets finanzieren“, sagte Richter Ulf Buermeyer auf einer Pressekonferenz im September, auf der die Berliner Piratenpartei ihre Initiative „Kein Knast für Schwarzfahrer“ vorstellte. Bereits 2011 setzte sich eine Gruppe von Berliner Jugendrichtern dafür ein, dass Schwarzfahrer nicht hinter Gitter müssen. So könne man Justiz und Polizei entlasten. Nun will die Piratenpartei erreichen, dass der Paragraph 265a aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Dieser wertet das „Erschleichen von Leistungen“ als Straftat. Der Vorschlag der Piraten: Künftig soll Schwarzfahren nur noch als Ordnungswidrigkeit gelten, wie Falschparken auch. Wer erwischt wird, muss nur ein Bußgeld zahlen und bekommt keine eingetragene Vorstrafe. Wer nachweisen kann, dass er nicht genug Geld hat, um das Bußgeld zu zahlen, muss nicht in den Knast.

Schwarzfahren wie Falschparken?

Die Piraten hoffen jetzt, dass der Berliner Senat die Gesetzesänderung im Bundesrat vorschlägt. Simon Weiss, der rechts- und verfassungspolitische Sprecher der Piraten räumt ein: „Es ist klar, dass unser Antrag jetzt erst mal abgelehnt wird, denn die Koalition zieht nicht mit.“ Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der gegenüber der Politik die Interessen von BVG und S-Bahn vertritt, ist jedenfalls nicht sonderlich angetan von der Idee und will eher auf Abschreckung setzen. VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff schlägt in der oaz vor, die Strafe für’s Schwarzfahren von 40 auf 120 Euro anzuheben.

Der Beitrag zum Nachhören:

Wer selbst Probleme durch Schwarzfahren hat, kann sich wenden an: